ROTHÖRN
Unmittelbar vor Weihnachten 2010 schrieb Kirsten Wendt, geb. Cornils, aus Drakenburg "Hallo liebe Tetenbüller" und machte uns auf einen sehr interessanten Artikel über einen ehemaligen Bürger Tetenbülls aufmerksam. Kirsten Wendt schreibt u. a. für das Online-Magazin Suite101.de. In erster Linie habe sie den Beitrag, den wir unten mit ihrer freundlichen Genehmigung wiedergeben, aber aus ganz persönlichen Gründen geschrieben. Sie ist die Enkeltochter von Jacob Heinrich und Alma Cornils, ihr Vater ist Bernd Jacob Cornils – aus Rothörn. Kirsten Wendt möchte noch viel mehr über Eiderstedt und seine Bewohner schreiben. Als nächstes arbeitet sie an einem Beitrag über das Ringreiten. Auf unseren Ringreiter-Seiten ist sie sicherlich fündig geworden.
Rothörn ist kein eigenständiger Teil der Gemeinde Tetenbüll, sondern gehört eigentlich zu Tetenbüll-Dorf. Wir möchten aber, dass der nachfolgende Beitrag nicht in den vielen Informationen, die wir schon über das Dorf veröffentlicht haben, untergeht. Der Originalartikel wurde im Online-Magazin Suite101.de veröffentlicht.
Briefe aus der russischen Kriegsgefangenschaft 1945 – 1949
Jacob Heinrich Cornils hinterließ eindrucksvolle Post aus seiner Zeit als sowjetischer Kriegsgefangener an seine Frau. Vom Schicksal eines Spätheimkehrers.
"Ich möchte bei meiner Heimfahrt möglichst wenig Bekannte treffen und, zu Hause angekommen, die Tür recht fest zumachen. Ihr müsst bedenken, man ist 4 Jahre... Frohe Ostern!" Diese letzte Karte vom 14. März 1949 aus russischer Gefangenschaft lässt erahnen, was im Eiderstedter Bauern Jacob Heinrich Cornils vorging, als es endlich nach einer Zeit voller Entbehrungen Richtung Heimat gehen sollte. Ein selbstbewusster und tüchtiger Mann, der zuvor ohne große Gefühlsduseleien gearbeitet hatte, wurde im Laufe der Jahre auf den Kern seines Daseins reduziert: der Sehnsucht nach seiner Frau und den drei Kindern und dem unbedingten Willen, zurück nach Hause zu kehren.
Der Zweite Weltkrieg, wie ihn ein Landwirt aus Eiderstedt in Tetenbüll-Rothörn erlebte
Eingezogen wurde der kernige, 1912 geborene Jacob Heinrich Cornils, der in seiner Heimat Eiderstedt meist Jacob Heie genannt wurde, erst gegen Ende 1940. Zuvor war er kaum aus dem flachen und weiten Land herausgekommen. Man sprach auf der Halbinsel in Nordfriesland fast ausschließlich Plattdeutsch, die Arbeit auf den Höfen war hart und geprägt vom rauen Nordseeklima. Seine Liebe galt der Ehefrau Alma, geborene Steffens, und den gemeinsamen Kindern Elke, Anne und Bernd Jacob. Ein leidenschaftlicher Boßler war er, und mit Pferden konnte er gut umgehen. So wirkte er auch in seiner Zeit beim Militär mit Vorliebe als Pferdepfleger.
Mit der Front ist er im Zweiten Weltkrieg bis Hundert Kilometer östlich hinter die Moskaulinie vorgedrungen. Dort vollzog sich dann für ihn im Jahr 1945 die Gefangennahme. Während des Durchzugs über den Roten Platz wurden die Kriegsgefangenen fortwährend von den Russen bespuckt. Eine Erinnerung, die sich zeitlebens in Jacob Cornils′ Gedächtnis einbrennen sollte. Doch in all den Jahren, die nach der Kriegsgefangenschaft folgen sollten, erwähnte er häufiger die positiven Seiten des russischen Lebens. Die Worte "dawei, dawei" (weiter, schneller) und "Uri, Uri" (Uhr) sind bis heute liebevoll benutzte Floskeln in der Familie Cornils. Jacob Cornils schätzte die gemütliche und bescheidene russische Volksseele und erzählte gerne bildhaft von den Menschen, die um und auf großen Öfen schliefen und sich so in den kalten Wintern Russlands wärmten.
Verschiedene Lager in der Kriegsgefangenschaft in Russland
29.01.1946 "Teile Euch mit, dass ich seit dem 10.05.45 in russischer Gefangenschaft bin. Mir geht es gut und hoffe dasselbe auch von Euch. Die Nachricht über die Ankunft unseres lieben (Sohnes) Bernd Jacob habe ich noch als letzte Post empfangen. Geb mir auf anhängender Karte baldmöglichst Nachricht. Auf ein baldiges Wiedersehen hoffend, seid herzlich gegrüßt."
Die beiden kleinen Töchter vermissten ihren "Vodder" sehr, doch den im April 1945 geborenen Sohn sollte Jacob Cornils erst vier Jahre später kennenlernen dürfen. Alma Cornils musste nun ganz alleine ihre drei kleinen Kinder, das Vieh und die beiden im Haus lebenden alten Großväter versorgen. Das Geld war knapp, die Sehnsucht dafür umso stärker – auf beiden Seiten .
25.10.1946 "Für die liebe Karte herzlichen Dank. Die Postverbindung klappt ja gut. Schade, dass Ihr keine Briefe schreiben könnt. Es ist mir fast unverständlich. Kameraden aus unserer Provinz erhalten Briefpost, sogar mit Fotografien drin. Es kann doch nur an der Post liegen. Eine Fotografie von Euch Lieben und besonders von dem kleinen Bernd wäre für mich ja eine besondere Freude. Dass es Euch soweit gut geht, freut mich sehr. (...) Sei nicht traurig, denke daran, dass ich lebe und dass es mir gut geht."
In 24 Postkarten und zwei Briefen beweist der Gefangene eine unglaubliche Stärke. Er baut seine Ehefrau auf, beteuert stets erneut, dass es ihm gut geht und man es schaffen wird. "Wir lesen (...) viel von den glücklichen Kameraden, die in Frankfurt (...) eintreffen. Einmal werde auch ich dabei sein und Sonnenschein wird wieder in unserem trauten Heim sein."
Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist. Was machen die ehemaligen Naziführer im Orte?
Jahr um Jahr verging, die Hoffnung auf eine baldige Heimfahrt wurde wiederholt zunichte gemacht. Als guter Arbeiter am Kohleofen des Stahlwerks der Russen, fanden diese immer neue Gründe, warum Jacob Cornils als sogenannter Schwerstarbeiter oder Bestarbeiter weiterhin benötigt wurde. Seine Sorgen um die Familie und den Betrieb wuchsen.
20.12.1946 "Was machen die ehemaligen Naziführer im Orte, oder überhaupt im Kreis? Hoffentlich haben sie jetzt nichts mehr zu sagen. Bekommst du Unterstützung für mich?"
01.01.1947 "Deinen schweren Stand, liebe Alma, erkenne ich voll an, aber: immer den Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist."
26.12.1947 "Am 2. Weihnachtsfeiertage will ich Euch Lieben ein paar Worte senden. (...) Auch ich habe als Kriegsgefangener ein sehr schönes Fest verbracht. Dadurch, dass wir eifrig Produkte gespart hatten, haben wir uns am Weihnachtsabend (...) einmal wieder so richtig satt essen können."
28.01.1948 "Nun haben unsere lieben Kinder ja bald Geburtstag. Sie werden schon so groß und den kleinen Bernd habe ich noch gar nicht gesehen; man fragt sich nur, was hat man verbrochen?"
10.02.1949 "Eure liebe Post (...) habe ich mit dankbarer Freude empfangen. Mit tiefem Schmerz habe ich den Tod unseres lieben Vaters empfunden. Was musst du, liebe Alma, alles mitmachen! Hoffentlich kann ich Dir bald die Sorgen abnehmen."
Die Rückkehr im April 1949 aus dem Gefangenenlager
Einer der emotionalsten Momente im Leben der Familie Cornils war die Rückkehr des Vaters auf den Rothörner Hof. Mit dem Motorrad des Nachbarn wurde er im April 1949 nach Hause gebracht. Um die Ecke an den gekleiten Gräben vorbei kam er geknattert und die glückliche Ehefrau rief: "Vodder is wedder tohuus!" Dieses Heimkehrerbild hat sich nachhaltig eingeprägt.
Jacob Heinrich Cornils wollte später nicht mehr viel vom Krieg und der Gefangenschaft hören. Die schlimmen Erinnerungen suchten ihn mitunter im Traum heim, dann schrie er laut auf. Weiterhin hieß jedoch seine Lebensdevise: "Wir werden das überstehen." In der Folge konnte er aus Einkünften aus eigener Landwirtschaft und weiteren Tätigkeiten ein neues Wohn- und Stallhaus bauen und gut für sich und seine Nachkommen sorgen. Er verließ die Welt so schnörkellos, wie er sich gerne gab. Während eines Mittagsschlafs starb er 68-jährig im Jahr 1980 an einem Herzinfarkt. Sein "liebes Frauchen" Alma gab vor ihrem Tode 1996 die Briefe und Karten ihrem Sohn. In einem Buch finden sich diese und viele weitere Eiderstedter Erinnerungen aus der Zeitenwende 1945.
Literaturnachweis: Blick über Eiderstedt Band 7, Zeitenwende 1945, Eiderstedt im 20. Jahrhundert, Heimatbund Landschaft Eiderstedt, Garding, ISBN 978-3-936017-20-5, 15 Euro. Dieser Band sowie frühere Bände der Reihe Blick über Eiderstedt können u. a. im Museum Haus Peters in Tetenbüll käuflich erworben werden.