GESCHICHTE DES BOSSELNS + WETTKAMPFARTEN
GESCHICHTE DES BOSSELNS
Damit Außenstehende unsere Begeisterung für den Boßelsport überhaupt nachvollziehen können, ist es sinnvoll, ihnen Näheres über das Boßeln zu vermitteln. Daher befassen wir uns nachfolgend mit der Geschichte des Boßelns, seiner Herkunft, den verschiedenen Boßelkugeln und den Verbreitungsgebieten.
Eisboßeln um ca. 1910
Technik: "Baben de Hand" (Über der Hand)
Technik: "Unner de Hand" (Unter der Hand)
Herkunft
Wie der Name der Verbände VSHB (Verband Schleswig-Holsteinischer Boßler) und FKV (Friesischer Klootschießer-Verband e.V.) schon sagt, heißt es in Schleswig Holstein Boßeln (früher Eisboßeln) und in Ostfriesland und Oldenburg Klootschießen. Zwar haben Klootschießen und Boßeln eine gemeinsame Spielidee, aber Ihre Geschichte ist unterschiedlich.
Das ältere Spiel ist das Klootschießen. Man könnte diese Spielform bereits auf die Römer zurückverfolgen. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus (55 bis 116 n. Chr.) berichtet in seinem Buch „Germania“ über den Einzug der Römer in den Norden, dass die Bewohner an der Niederelbe gegen die römischen Eindringlinge in der Sonne gebrannte Lehmkugeln verwendeten. Selbst auf größere Entfernungen erzielten diese Bewohner eine bewundernswerte Treffsicherheit. Ein Erdklumpen wird in niederdeutsch „Kluten“ genannt, woraus dann der Kloot entstand. Da die Friesen keine Waffen hatten, war das Klootschießen bzw. Boßeln auch später eine Art militärisches Training für die Dorfverteidigung. Entsprechend galt den friesischen Bauern früher die Boßelfähigkeit Ihrer Knechte als wichtiges Einstellungskriterium.
Von den Erdklumpen wechselte man später zu schweren Flintkugeln und im Mittelalter zu zweipfündigen Eisenkugeln. Um das Gewicht zu verringern, wurden aus Apfelbaumholz Kugeln hergestellt, die kreuzweise durchbohrt und mit Blei ausgegossen wurden. Diese Kugeln wurden bei Ausgrabungen von Wurten (künstliche Erdhügel) gefunden, worauf man schließen konnte, das diese um 1300 oder auch früher benutzt wurden.
Die älteste Urkunde, die über einen Unfall mit einer Kugel im Jahr 1510 berichtet, wurde im ältesten Landgerichtsbuch im Staatsarchiv Aurich entdeckt.
Im Zuge der im Deutschen Reich durch Turnvater F. L. Jahn entstehenden Turnvereine, wurde dann auch das Klootschießen und Boßeln mit aufgenommen. Reine Klootschießervereine gründeten sich dann nach der Jahrhundertwende und nach der Gründung des Friesischen Klootschießer-Verbandes im Jahre 1902.
Wo die Anfänge des Boßelns in Schleswig-Holstein liegen, ist ungeklärt. Vereinzelte Schriften zeigen, dass das Boßeln gelegentlich praktiziert wurde, denn 1585 erlaubte Herzog Adolf III von Gottorf der Husumer Boßel- und Kegeljugend das Üben im Husumer Schlosspark. Doch die beiden sonst sehr ausführlich berichtenden Chronisten Danckwerth und Heimreich erwähnen das Boßeln in Ihren im 17. Jahrhundert erschienenen Werken mit keiner Silbe. Diese Tatsache legt den Schluss nahe, dass es frühestens in der zweiten Hälfte des 17. bzw. zu Anfang des 18. Jahrhunderts zum Aufkommen und zu einer schnellen Popularisierung des Spiels kam.
1757 wurde ein vierseitiger Herausforderungsbrief zur „Revanche“ des Lehnsmanns Peter Hinrich Cornils aus Poppenbüll (1730-1784) und seiner Mitstreiter für einen verlorenen Wettkampf im „Eisbosselwerfen“ geschrieben. Weitere Beschreibungen geben uns die „Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichte“ des Jahres 1787 und das von Schütze in seinem 1800 erschienenen „Idiotikon“. Und wie in der Geschichte des BV Tetenbüll zu lesen ist, gibt es die ersten Aufzeichnungen von Eisboßelwettkämpfen in Tetenbüll seit 1827.
Verbreitungsgebiete des Boßelns
Heute wird in vielen Teilen Europas und auch teilweise in Amerika geboßelt. Rechts eine Übersicht über die Gebiete Europas.
In Schleswig-Holstein wird hauptsächlich im Ursprungsgebiet an der Nordseeküste geboßelt. Die Gebiete des Verbandes Schleswig-Holsteinischer Boßler (VSHB) sind auf der Karte rechts eingekreist. Der Boßelverein Altona in Hamburg hat sich daraus ergeben, dass es ehemalige Bewohner der Westküste dorthin verschlagen hat.
Boßelkugeln
Die schleswig-holsteinische Boßelkugel wird aus Apfelholz hergestellt. Sie hat einen Durchmesser von 58mm (Männer), ist sieben mal durchbohrt und mit Blei ausgefüllt. Ihr Gewicht beträgt 500g. Bei internationalen Wettkämpfen wird der ostfriesische Kloot verwendet. Dieser hat ein Gewicht von 475g. Frauen und Jugendliche benutzen eine Kugel von 55mm Durchmesser.
Die Holländer werfen mit dem „Hollandse Kloot“ von 250g. Für den internationalen Wettkampf auf der Straße und in Schleswig-Holstein wird die irische Straßenkugel (Irish Bowl) genutzt. Sie hat auch einen Durchmesser von 58 mm, wiegt aber 28 Unzen = 794g. Auf dem folgenden Bild sind vor einem 30cm-Lineal folgende Kugeln zu sehen:
V.l.n.r.: Kinderboßel, Frauenboßel (375g), Männerboßel (500g), Feldboßel (300g), Irische Straßenkugel (794g), Holländische Gummikugel (800g) für die Straße.
Die Herstellung einer 500g schweren Boßelkugel ist links zu sehen. Der Rohling des Apfelholzes wird rundgedrechselt, angebohrt, Blei eingefüllt, abgeschnitten, die Kugel glatt geschliffen und poliert.
WETTKAMPFARTEN
Feldkämpfe und Standboßeln
Von Januar bis März finden fast jeden Samstag um 13.00 Uhr die traditionellen Feldkämpfe statt. Dabei schwankt die Zahl der Boßler pro Verein zwischen 13 und ca. 30. Nach einem Kampf halten die beiden Vorsitzenden eine kurze Rede über den Kampf. Der Vorsitzende der Verlierermannschaft muss zuerst sprechen und überreicht dem Vorsitzenden der Gewinnermannschaft die im Kampf genutzte Boßel als Anerkennung für den Sieg.
Jedes Jahr finden die Unterverbandsmeisterschaften statt. Die Vereine wechseln sich mit der Durchführung ab. Dabei gibt es das Preis- und Konkurrenzboßeln. Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass man beim Preisboßeln nur eine Serie (3 Wurf) boßeln darf, während man beim Konkurrenzboßeln beliebig oft nachsetzen kann. Die Vereine stellen A-, B- und teilweise auch C-Mannschaften aus jeweils 6 Boßlern, deren Summe die Vereinsleistung ergibt. Die Leistungen der einzelnen Werfer werden ebenso miteinander verglichen und damit der Unterverbandsmeister ermittelt. Einige Vereine treffen sich nach den Standkämpfen in der Regel am zweiten Wettkampftag zu Ihren traditionellen Feldkämpfen mit meist jeweils 15 Boßlern.
VSHB-Verbandsmeisterschaften
Alle zwei Jahre finden die Verbandsmeisterschaften der VSHB-Unterverbände statt. Auch hier wechseln sich die Vereine mit der Durchführung ab. Es gibt hier nur das Preisboßeln und die Mannschaftswertung. Auch hier treffen sich einige Vereine nach den Standkämpfen in der Regel am zweiten Wettkampftag zu Ihren traditionellen Feldkämpfen mit meist jeweils 15 Boßlern.
Vereinsinterne Wettkämpfe
In den Vereinen gibt es jedes Jahr das Preis- und Konkurrenzboßeln. Dieses wird meistens im Sommer durchgeführt. Dabei treten die Vereinsmitglieder untereinander um den Sieg an, in Tetenbüll meist auf der Festwiese hinter Gemeinde- und Feuerwehrgerätehaus.
Ein Feldkampf am Deich...
... und die obligatorische Rede danach
(hier unser ehemaliger Vorsitzender Peter Julius Hansen)
Alle zwei Jahre findet zwischen den Unterverbänden Dithmarschen und Eiderstedt ein Vergleichskampf statt. Dabei treten die besten 31 Boßler in einem Feldkampf gegeneinander an. Dieser findet meist im März nach den Feldkämpfen statt.
Landespokalboßeln
Abwechselnd mit dem Vergleichskampf gegen Dithmarschen findet alle zwei Jahre das Landespokalboßeln statt. Dabei treten die besten 10 Werfer der Unterverbände Eiderstedt, Dithmarschen, Steinburg und Norden gegeneinander an. Jeder Boßler absolviert dabei drei Würfe auf einem Stand. Die Meterzahlen werden addiert und damit der siegreiche Unterverband ermittelt.
Immer am 1. Mai findet alljährlich das Husumer Nachrichten-Pokalboßeln der Mannslüüd am Kaltenhörner Deich statt.* Dabei treten die besten fünf Werfer aus jedem Verein gegeneinander an. Die Vereine sind in drei Gruppen unterteilt. Es werfen alle Vereine aus der A-, B- und C-Gruppe jeweils gegeneinander. Die A-Gruppe ist die höchste Gruppe. Der letzte der A-Gruppe muss im Folgejahr in der B-Gruppe werfen und dafür kann der erste der B-Gruppe in die A-Gruppe aufsteigen. Analog gilt dies auch für den B-Verlierer und den C-Gewinner. Für jeden Gruppensieger gibt es einen Pokal.
* Die Fruunslüüd haben ihr eigenes HN-Pokalboßeln am letzten Sonntag im August.
Vergleichskampf Eiderstedt vs. Oldenburg
Alle zwei Jahre gibt es den traditionellen Vergleichskampf zwischen dem Unterverband Eiderstedt und Oldenburg vom FKV. Dabei treten jeweils die besten 30 Werfer gegeneinander an. Diese werden von den Vereinen vorgeschlagen und vom Vorstand des Unterverbandes benannt.
Eiderstedter Kiekut-Turnier
Feld- und Straßenboßeln
Am ersten Wochenende im September finden die Straßen- und Feldmeisterschaften des UV Eiderstedt statt. Dabei werden auf der Straße und auf dem Feld jeweils zehn Würfe absolviert und addiert. Jeweils drei Boßler aus einem Verein ergeben eine Mannschaft. Die Einzelleistungen werden ebenfalls miteinander verglichen. Dabei werden am Ende die Leistungen aus dem Standboßeln mit herangezogen, um die besten Kombinierer zu ermitteln.
Ca. vier Wochen später gibt es dann die Landesmeisterschaften Straßen- und Feldboßeln aller VSHB-Unterverbände. Dabei treten die zehn besten Werfer der Unterverbandsmeisterschaften an.
Deutsche, Europa- und Weltmeisterschaften
Jedes Jahr gibt es deutsche Meisterschaften im Boßeln. Wer vom VSHB daran teil nimmt, wird vorher durch Qualifikationen ermittelt.
Für alle Disziplinen finden alle vier Jahre die Europameisterschaften statt. Vom VSHB starten dann in den drei Disziplinen jeweils 10 Boßler. Diese werden vorher durch drei Qualifikationen ermittelt.
2010 fand erstmalig eine Weltmeisterschaft statt.
Europameisterschaften
Feldboßeln (oben)
und
Straßenboßeln (unten)
(historische Fotos)
Eiderstedter Boßel-Info "Kiek Ut"
Alle Boßelergebnisse stehen natürlich in der Eiderstedter Boßel-Info "Kiek Ut". Das Heft erscheint 6x im Jahr.
QUELLEN
"Vom Boßeln, Klootschießen und vom Bowl-Playing" - Autoren: Michael Augustin, Friedrich Johannsen - Verlag H. Lühr & Dircks, 1978
"Das alte Friesenspiel ist jung" - Autoren: Ihno Alberts, Harm Wiemann, Ursula Basse-Soltau - Verlag Soltau-Kurier Norden, 1988
"Klootschießen - Boßeln - Schleuderball" - Autor: Helge Kujas - Isensee Verlag Oldenburg, 1994
"Vom Boßeln in Schleswig-Holstein" - Kurze Einführung von Friedrich Johannsen
"Geschichte, Regeln, Technik - ein kleines Boßel-Brevier" - Hamburger Abendblatt, 26.04.2008 - dort zitiert: "Die Bedeutung des Boßelsports für den Schulsport an der schleswig-holsteinischen Westküste", Examensarbeit von Klaus Schneider, Hochschule Kiel